Donnerstag, 27. August 2009

Keine Komödie

Vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass das Hotel auf der Burg Eisenhardt (manche nennen die Burg auch das „Wahrzeichen Belzigs“) einen neuen Pächter bekommt. Eigentlich eine gute Sache, da der alte Pächter seine Miete nicht mehr bezahlen konnte und es um den Ruf von Hotel und Restaurant zuletzt nicht gut stand: Spinnweben in den Zimmern, Hornissennester im Rittersaal, schlechte Weine, halbvolle Essenteller. Einige Stadtverordnete und manche Bürger fühlten sich jedoch überrumpelt und forderten eine öffentliche Ausschreibung des Hotels anstelle der eiligen Vergabe an eine unbekannte GmbH. Leidenschaftliche Leserbriefe wurden geschrieben, vor dem Rathaus fand eine Protestversammlung statt, ein Lokaljournalist schüttete boulevardmäßig gekonnt Öl ins Feuer und die Bürgermeisterin sagte: "Macht nix, der neue Pächter, der die Altschulden von 94.000 Euro übernehmen will, ist die beste und vor allem kostengünstigste Lösung, der Vertrag wird unterschrieben." Kurzum: Die Wogen schlugen hoch.

Da die Sache bereits gut eingefädelt war, wurde der neue Vertrag schließlich unterzeichnet – für 33 Jahre ist das Burg-Hotel nun verpachtet, samt den vorübergehend von einem Kunstverein und diversen Initiativen genutzten Räumen im Torhaus der Burg, wo schon bald ein Kongresszentrum eingerichtet werden soll.

Richtig zu verstehen ist die ganze Aufregung nur, wenn man die Person des Projektanbahners mit in Augenschein nimmt. Herr P. organisiert soeben zum zweiten Mal den Belziger Altstadtsommer und versteht sich als neuer Marketingstratege für Belzig. Für viele Belziger ist er eher ein Schreckgespenst. Ich kenne den Mann nicht persönlich, aber angesichts der vielen Skeptiker und Feinde, die er sich in kurzer Zeit gemacht hat, kann man nicht sagen, dass er über besonderes Einfühlungsvermögen verfügt. Er scheint eher ein Hansdampf (und auch ein Vielplauderer) zu sein, als einer, der sich ums Verständnis seines Gegenübers bemüht. Herr P. hat nur seine eigenen Interessen im Sinn und nicht das Wohl der Stadt und ihrer Bürger – so könnte man die Vorwürfe an ihn vielleicht zusammenfassen. Aber worin diese Interessen bestehen, das wusste niemand so recht. Denn wie wollte Herr P. bzw. der neue Geschäftsführer aus einem schlecht laufenden Betrieb eine Goldgrube machen? Woher sollten die 1,8 Millionen Euro für die angekündigten Investitionen kommen? Wer sind die Geldgeber, die hinter der GmbH stehen?

Heute konnte man in der Zeitung eine Antwort lesen: Es ist die Firma Jiuhuan Co. Ltd. aus Peking. Ihr (deutscher) Geschäftsführer will auf der Burg Eisenhardt in Belzig ein „China-Kompetenzzentrum“ einrichten. Unklar blieb in dem Bericht, was das bedeutet und wer zum Beispiel die Sprachkurse besuchen soll, die dort angeboten werden: Sollen die Belziger chinesisch lernen oder die Chinesen deutsch? Aber egal, ein „China-Kompetenzzentrum“, das ist großartiger als jede wilde Phantasie von betuchten Geschäftsleuten, die auf der Burg kulinarische Ritterbankette abhalten. Das ist wie in einer netten Provinzfernsehkomödie, wo man am Schluss, wenn die Chinesen kommen und die marode Schuhfabrik übernehmen, denkt: Naja, da wollte der Drehbuchautor mal zeigen, dass er weiß, was in der großen Welt so alles vor sich geht. Nur dass das hier zwar Provinz, aber kein Fernsehfilm ist. Wie es aussieht, kommen die Chinesen wirklich. Und es sollen richtig viele sein.

Bloß, warum hat Herr P. nicht schon früher erzählt, dass die Chinesen kommen?
Nicht Konfuzius, sondern Martin Buber sagte: „Der Ursprung allen Konflikts ist, dass ich nicht sage, was ich meine, und nicht tue, was ich sage.“
Das schöne Zitat habe ich auf einer Webseite gefunden, auf der der Geschäftsführer der Jiuhuan Co. Ltd. sagt, dass die Chinesen (trotz Weltwirtschaftskrise) optimistisch in die Zukunft blicken.

Optimistische Chinesen, die auf der Burg residieren, sind genau das, was Belzig braucht.

Donnerstag, 20. August 2009

Ausflug nach Baitz oder: Nicht von hier

Wer mit dem Zug von Berlin nach Belzig fährt, hält zwangsläufig in Baitz und wer sich nicht auskennt, wundert sich, dass der Zug einfach auf offener Strecke stehen bleibt. Nur wer zufällig in einem der vorderen Zugwagen sitzt, von denen aus man das graue Bahnhofsgebäude erblickt, kann den Halt einordnen. "Baitz" ist da zu lesen, auch wenn kein Dorf zu sehen ist.
Schnell heraus, bevor es zu spät ist!

Auch nachdem der Zug abgefahren ist, und die Sicht ringsum frei, ist das Rätsel kaum zu lösen. Da steht zwar der Bahnhof, der „zu verkaufen“ ist, wie ein Transparent lauthals verkündet. Und an der Straße, die Richtung Südwesten führt, lagert eine Handvoll Häuser. Aber diese versuchen gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als rechtfertigen sie einen Halt. Allein die Autos, die über die kleine Parkfläche hinausquellen, weisen darauf hin, dass dies kein Halt im Nirgendwo ist.

Baitz ist vom Bahnhof aus nicht zu entdecken.
Es liegt etwa einen halben Kilometer entfernt, durch einen Waldstreifen dem Blick verborgen, in einer sanften Mulde, von Feldern umschlossen. Wer mitten im Juli zu Fuß vom Baitzer Bahnhof ins Dorf läuft, erfährt etwas über den Reiz des langsamen Ankommens. Nach einer Biegung, mit der man den Waldstreifen hinter sich lässt, schält sich die Silhouette des Dorfes aus der dunstigen Spätvormittagshitze. Schnurgerade läuft der Weg auf das harmonisch anmutende Dorf mit dem jetzt weithin sichtbaren Kirchturm zu. Mit jedem Schritt wächst es deutlicher aus den Sonnenblumen- und Roggenfeldern. Nicht nur die Luft ist staubig wie in einem Western. Auch die Pferde, die auf der großen Koppel links des Dorfes grasen, verstärken die Stimmung irgendwo ganz anders, jedenfalls nicht in Brandenburg, zu sein. Tanzender Staub, glühende Stille und Erinnerungen an legendäre Italo-Western vermählen sich zu einer zeitlosen Atmosphäre. Flimmert da nicht der Horizont, so ähnlich wie über einem weiten trockenen Land am Rande des großen Wassers? Kreist da nicht ein Adler über der Prärie?
Aber es ist nur der Storch, der hier zuhause ist.

Am Ortseingang bellt ein verborgener Hund, in einem Garten strecken sich Ziegen und eine müde Gans im Schatten aus. Obwohl kein Mensch zu sehen ist, wirkt das Dorf dennoch belebt, etwa so, als hätten sich die Dorfbewohner gerade zum Mittagschlaf zurückgezogen. In der Dorfmitte ein typischer Platz mit Schatten spendenden Linden, eine Schaukel steht inmitten des grünen Dreiecks, das zerbrochene Fenster an dem beschmierten Buswartehäuschen erzählt, dass Recht und Sauberkeit hier nicht an erster Stelle stehen.

Geradezu lockt Dinos Biergarten, ein idyllisches Juwel unter den Dorfkneipen, direkt an einem Bach gelegen. Die Straße links hinein werden wir in der Naturwachtstation erwartet. Eine kräftige Frau, die „nicht von hier“, sondern aus dem etwa zehn Kilometer entfernten Kranepuhl stammt, empfängt uns freundlich und führt uns in die Miniausstellung mit liebevoll ausgestopften heimischen Tieren. Vor allem das Großtrappenmännchen und der Uhu beeindrucken durch ihre majestätische Größe. Während die Großtrappen eindeutig in den an Baitz anschließenden, geschützten Landschaftswiesen zu verorten (wenn auch nicht zu sehen) sind, ist der Aufenthaltsort der beiden Hoher-Fläming-Uhus ein Geheimnis. Einer, erfahre ich immerhin, lebt etwa in der Mitte des Naturparks. „In Wiesenburg also?“, frage ich nach.
„Da ist ja nicht die Mitte“, antwortet die Frau bestimmt.
„Wo liegt denn die Mitte? Bei Rädigke etwa?“
Die Frau schüttelt den Kopf und schweigt ansonsten.

Dann führt sie uns aus dem Dorf hinaus, über einen kleinen Bach, vorbei an zwei Ponys, in ein Waldstück, das nicht nur ortsüblich nach Kiefern, sondern intensiv nach Mittelmeer riecht.
Welch ein Ort, dieses Baitz! Direkt vom Wilden Westen geht es in den italienischen Süden. „Eine Wanderdüne“, erklärt die Frau sachlich, provisorisch festgezurrt von den Wurzeln bizarr gewundener, oft doppelstämmiger Kiefern, die für die Forstwirtschaft nichts hergeben. Der Sandboden ist flächig von Moosen und Flechten bedeckt, die Bäume stehen licht, da vorne hinter dem dünenartigen Hügel, da muss irgendwo ein verborgenes Meer sein. Schnaufend schieben wir uns die hohe Düne, auch „Fuchsberg“ genannt, hinauf. Enttäuschung macht sich breit. Kein Meer in Sicht. Nur ungewöhnlich stolze, solitäre Kiefern und samtene Stille. Aber dort, Richtung Nordwest, hinter dem lichtdurchfluteten Stück Wald, wo sich helle Gräserbüschel im Wind wiegen, dort könnte es sein: Das große Wasser.

Derweil lädt die Wanderdüne zur Hingabe ein: Sich flach zu legen und mit dem trockenen Boden zu verbinden; die Ameisenlöwen bei der Ameisenjagd zu beobachten, wobei sie eiergroße Trichterchen in den Boden saugen; oder den trockenen Wind auf der ganzen Haut zu spüren; auf die Dämmerung zu warten und zu schauen, ob wüstenähnlich bizarre Schattenbilder zu tanzen beginnen; oder einfach nur dazusitzen und vom Meer und seiner salzigen Weite zu träumen.

Durstig ziehen wir weiter, dem leuchtenden Horizont entgegen. Und tatsächlich: Hinter dem Wald erstreckt sich unübersehbar weit eine flache Landschaft, die bereits tiefer stehende Sonne glitzert zwischen locker hingestreuten Baumreihen. Kein Meer, aber dafür eine verwirrend vielschichtige, gemäldeartige Landschaft, skizzenhaft hingeworfen die Büsche und Feldgrenzen, nicht von ungefähr wirkt das Gelände wie von einem Architekten entworfen: Entwässerungsgraben durchziehen die Landschaftswiesen, das ehemalige Feuchtgebiet. Eine Art still gelegtes Meer. Hier leben nicht nur die seltenen Großtrappen, die sonst in Spanien und Russland heimisch sind, und einige Fischadler, sondern, auch, die fachkundige Frau verrät es uns, der König unter den europäischen Raubvögeln: Der Seeadler.

Hier fühle ich mich angekommen. In alle Himmelsrichtungen dehnen sich Seelenlandschaften aus. Die mediterrane Wanderdüne im Rücken, das Italo-Western-Dorf Baitz links von uns, rechts erstreckt sich ein dunkler Wald des Nordens und vor uns liegt die weite, von Wasseradern durchzogene Ebene, ein fruchtbares wildes Land.
Nicht von hier, aber ewig und tief in meine innere Landschaft eingraviert.
Nicht durch die aufgestellten Fernrohre, sondern am Himmel sehe ich den Seeadler kreisen, den gelben Schnabel fordernd vorgestreckt, das Halbrund der Schwanzfedern leuchtet hell.
Wilde Pferde jagen über die Stege.
Immer weiter, zwischen den funkelnden Gräben hindurch.