Dienstag, 17. Februar 2009

März bis Oktober

Wenn ich aus dem Fenster schaue, liegt dort Schnee, wie auf den Fotos im Januar. Immer, wenn der Schnee schmolz, dachte ich, jetzt sollte ich neue Fotos ... von der Schneeschmelze ... oder sogar einen Text veröffentlichen. Das stimmt sonst alles nicht mehr, dachte ich. Aber dann schneite es in den nächsten Stunden. Und jetzt liegt auf einmal wieder so viel Schnee, als wäre die Zeit in den letzten sechs Wochen still gestanden.


Dabei ist wie immer so einiges passiert: Eine üble Viren-Attacke auf den Magen-Darm-Trakt, im Kino gewesen ("Benjamin Button") und ein Berlinale-Trip, Grundschul-Besuche und unzählige Schulgespräche, Schwitzhütte im Schnee, Aggression & Hingabe unter Männern, Laufen auf Eis, "Populärmusik aus Vittula" zu Ende gelesen, Bau einer Lego-Öl-Plattform und ein echter leerer Öltank, Beginn des Schreibkurses "Erotisches Schreiben", ein neuer blutjunger Schornsteinfeger mit einem lindgrünen Wollkäppi ... und all das, was jeden Tag passiert, was mir in diesem Augenblick nicht mal als Stichwort einfällt, all das was wirklich wichtig war, die kleinen Sätze und entrückten Gesten, ein Lächeln, eine Schneeflocke, die genau auf die Nasenspitze traf, der Moment, wo ein überraschendes Fundstück das gesamte Leben erhellte.

Neben meinem Arbeitsplatz hängen, auf Papier gedruckt, schon lange zwei Sätze von Jorge Luis Borges, die mich daran erinnern, was wirklich wichtig ist:

Und wenn ich noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich versuchen, weniger perfekt zu sein. Ich würde von März bis Oktober barfuß gehen, viel in Flüssen schwimmen und vor allem mit Kindern spielen.

Vor kurzem fand ich das ganze Zitat von Borges in einem Buch und las ...
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte,
im nächsten Leben würde ich versuchen,
mehr Fehler zu machen.

Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre ein bisschen verrückter als ich gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.

Ich würde nicht so gesund leben,
ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten, mehr Bergsteigen,
mehr in Flüssen schwimmen.

Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten.

Freilich hatte ich auch Momente der Freude.

Aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen nur mehr gute Augenblicke zu haben.

Falls du es noch nicht weißt, aus diesen besteht nämlich das Leben, nur aus Augenblicken.
Vergiss nicht den jetzigen.

Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an bis in den Spätsommer barfuss gehen.

Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben vor mir hätte.

Aber sehen Sie ...

Ich bin 85 Jahre alt und weiß,
dass ich bald sterben werde.

Jorge Luis Borges starb 1986 mit 87 Jahren. Er wusste wovon er sprach.