Dienstag, 24. Juli 2007

Ein gutes Gefühl

Das Belziger Postamt war eine Oase in der deutschen Dienstleistungswüste. Es lag günstig an der Straße zum Marktplatz, beinahe zu jeder Tageszeit konnte man direkt vor der Eingangstür parken, ohne mit einem Strafzettel rechnen zu müssen. Außer vor Weihnachten traf man in dem schlichten und hellen Warteraum nie eine Warteschlange an, die länger als zwei Personen war. Das lag vor allem an den beiden Frauen, die dort Dienst versahen und sich dabei tatsächlich ihren Kunden widmeten. Es waren zwei kräftige, freundliche und patente Frauen, die Freude an ihrer Arbeit hatten. Wenn die eine an einem Schalter bereits jemand bediente, tauchte die andere aus den Tiefen des Postbüros auf und schob am zweiten Schalter lächelnd die verlangten Briefmarken über den Tresen. Das Lächeln dieser Frauen war stets von milder Ironie umspielt, es entstammte einer Art souveränen Hingabe an die Arbeit, es war ein gefestigtes und dennoch leichtes Lächeln. Bis in die letzten Tage des Jahres 2005 (oder war es 2004?) trugen diese Frauen ihr Lächeln mit Stolz und Fassung, dann verschwanden sie mitsamt dem Postamt.

Die Postgeschäfte durften nun in einem Eisenwarenladen erledigt werden, der zugleich ein Geschenkartikel-, Anglerbedarf-, Haushaltswaren- und Schlüsseldienstladen ist. Ein echter Gemischtwarenladen also, der in mir manchmal Fantasien von den Pioniertagen des Wilden Westens weckt. Ich gewöhnte mich daran, ich dachte nur noch selten an das alte Postamt, das seit seiner Schließung leer steht.

Vor ein paar Wochen zog ein Küchen- und Heizungsgeschäft in das alte Postamt.

Gestern wollte ich dort ein Ersatzteil für unseren Gasherd bestellen. Schon als ich vor dem Gebäude anhielt, überkam mich das alte Postgefühl und beinahe hätte ich beim Aussteigen die Briefe geschnappt, für die ich noch Briefmarken holen wollte. Als ich die Eingangstür öffnete, nahm ich mir fest vor, kein Wort über das alte Postamt zu verlieren. Aus der Zeitung wusste ich, dass sich bereits manch Belziger hoffnungsvoll in das wieder eröffnete Gebäude verlaufen hatte, in dem Glauben, die Post sei auferstanden. Ich wollte die alten Geschichten ruhen lassen. Ich wollte nur ein Ersatzteil für den Gasherd.

Als ich eintrat, verlangsamte sich mein Schritt und ich schaute mich um. Ich suchte nach Anzeichen des alten Postamtes, aber die Inneneinrichtung war komplett neu. Wo früher die Ständer mit den Briefumschlägen standen, befand sich eine Ausstellungsküche. Anstelle der gläsernen Schalterfront gab es jetzt einen geschwungenen, offenen Tresen. Dahinter saß eine mir unbekannte, kräftige und freundliche Frau. Ich legte mein kaputtes Gasherdteil auf den Tresen und sagte erstmal nichts.
Stattdessen dachte ich: Die Post lebt in uns weiter. Sie wohnt an einem Ort, an dem Aldi und Media Markt nie ankommen werden, seit vielen vielen Jahren schon lebt sie dort, zusammen mit dem Bäcker, dem Fleischer, dem Schuster und dem Schneider.
Als ich bemerkte, dass die Frau mich erwartungsvoll ansah, sagte ich: „Nein, nein, ich will keine Briefmarken kaufen.“
Sie lächelte mich an und sagte: „Das wäre auch kein Problem.“
„Nein, wirklich, Sie verkaufen Briefmarken?“
„Ich habe immer welche da – für alle Fälle. Brauchen Sie welche?“
„Ja“, sagte ich strahlend. „Bitte fünf.“
„Sie sind schon der zweite heute, der bei mir Briefmarken kauft.“
Im selben Augenblick betrat ein Mann den Laden und reichte der Frau einen Briefumschlag über den Tresen. Ich sagte nichts. Kaum hatte er den Laden verlassen, eilte ein zweiter Mann herein, dem die Frau ein großes durchsichtiges Kuvert mit mehreren Umschlägen übergab.
Es war wie auf der richtigen Post.
Die Frau und ich, und sogar der Mann, der im Hintergrund still und streng vor einem Bildschirm saß, lächelten alle, und wir fühlten, wie der alte Postort tief in uns atmete.

1 Kommentar:

Frank hat gesagt…

Lieber Stefan!
Hab vielen Dank für diesen kurzen Moment der Ruhe, den ich durch Deine kleine Hagelberger Episode fand. Freue mich auf mehr!
Ein lieber Gruß
Dein Kollege
Frank