Mittwoch, 5. Dezember 2007

Alter, stinkender Mann

Am Montagabend bei Aldi.
Der alte, schlecht rasierte Mann mit dem ausgebeulten, blauen Arbeitsanzug, der an der Kasse vor mir steht, riecht nach einer Wohnung, in der es keine Dusche gibt; nach Abstieg und Verwahrlosung; aber er trägt ein spöttisches, ein lautes und trotziges Grinsen im Gesicht. In seinem Einkaufswagen liegen ein Stück Butter, zwei Flaschen Traubensaft, abgepacktes Brot und eine Packung Wurst. Er ist gut gelaunt und erzählt ungefragt: „Ach, die so genannte Wiedervereinigung, was für eine Scheiße, was für ein Betrug. Nichts als Ärger hat se eingebracht. Und hier …“, er wendet sich an die junge, pausbäckige Kassiererin, „gestern haben drei Schwammtücher einen Euro gekostet. Heute sind in derselben Packung nur noch zwei Schwammtücher drin. Da wird abkassiert im großen Maßstab. Was iss, sag ich nich die Wahrheit?“ Er grinst die Kassiererin breit an. Sie blickt Hilfe suchend zu mir, dem nächsten in der Schlange. „Ach, ich war heut schon betrunken. Das war schön. Dann vergess ich wie mies die Welt jewordn ist. So, wie viel krieg ich raus? Iss das alles?! Na dafür kann ick mir ja keen Schnaps mehr koofen.“ Die Kassiererin blickt immer noch in meine Richtung. Ich drehe mich um: Hinter mir steht ein sehr junger Mann, der verständnisvoll zurück lächelt. Sie nickt erleichtert, fast bewegungslos. Ich stehe jetzt direkt neben dem alten Mann an der Kasse, weil er noch seine Sachen in einen kleinen Karton räumt. Ich mag den irgendwie, diesen alten Mann. Ich mag immer die fertigen, alten Männer. Sie wirken, als hätten sie etwas Schweres hinter sich gelassen, irgendwoher bekommen sie die paar Groschen, die sie zum Leben brauchen und hauen verbal auf die Kacke. Die Wahrheiten, die sie verbreiten, sind politisch alles andere als korrekt. Und ich frage mich, ob dieser alte, stinkende Mann nicht etwas ganz klar sieht, was ich einfach nicht wahrhaben will.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Stefan,

diese kleine Episode hat mich sehr berührt!
Zum einen fühle ich mich in den letzten Jahren des öfteren wie jener von Dir beschriebene alte Mann, zum anderen sehe ich mich ebenso in der Rolle des Beobachter (also in Deinem Erzähler-Ich) wieder!

Ein lieber Gruß
Dein Kollege Frank

PS: Hast Du Lust, wie wir auf Dich einen Link von Dir auf uns zu setzen? www.storyatella.de

Ein Stück Liebe hat gesagt…

Lieber Frank,

freut mich, dass Du mal wieder vorbei geschaut (und dich gleich zweimal selbst gefunden) hast.
Den Link auf Storyatella gibt es längst; schau mal unter "Stories zum Naschen".

Bis bald, Stefan